Farbe in der Architektur hat heutzutage aus gesellschaftlicher Sicht einen schweren Stand. Die letzten Jahrzehnte überall vorherrschende monotone Weissheit auf Wänden und Decken hat in der Wahrnehmung vieler Bewohner:innen ihre Spuren hinterlassen. Leben und arbeiten in farbigen Räumen ist für viele Menschen nur mehr schwer vorstellbar.
So geniesst weiss in Mietobjekten die höchste Akzeptanz - und mit weit über 90% auch die grösste Anwendung; weiss nimmt sich in Galerien und Ausstellungen vermeintlich am stärksten zurück und schafft der Kunst ihren Platz (white cubes). Bei weiss rümpft niemand die Nase; weiss passt immer, man denke dabei z.B. an das weisse Hemd in der Mode.
Doch gerade dort - sei es in der Alltagsmode oder der Haute Couture - hat sich in den letzten Jahren Farbe durchsetzen können. Bleiben wir sinnbildlich beim Hemd, dass vor wenigen Jahren in rosa der letzte Schrei jeder Herrengarderobe war. Auch in der Körperpflege, dem Essen und vielen anderen Dingen unseres täglichen Lebens hat sich die bunte Farbigkeit gegenüber der Monotonie durchgesetzt. Unser Leben ist bunter – oder sagen wir es in der Sprache einiger Sozialwissenschaftler:innen – diverser geworden.
Doch die Architektur tut sich schwer mit Farbe. Es scheint als haben Bauherr:innen wie Architekt:innen den Umgang mit Farbe verlernt.
Bereits Adolf Krischanitz hat in einem Interview bemerkt, dass das scheinbar schlankste Gestaltungsmittel „Farbe“ oft unverhältnismässig aufwändige Diskussionen auslöst.
Auch meine eigene Erfahrung stützt diese Feststellung: Farbe polarisiert, sie bewegt die Gemüter, fordert Entscheide und ein Bekenntnis.
Treffen Menschen bei der Mode, der primären Schicht zur Umhüllung unseres Körpers relativ problemlos Farbentscheide, scheitern sie bei der Architektur, die analog der Mode eine erweiterte Umhüllung unseres Körpers darstellt.
Liegt es an der entschwundenen Erfahrung, den fehlenden Vorbildern oder Stilbild(n)ern im räumlichen Bereich? Während die Mode durch ihre rasche Auswechselbarkeit und sofortige Verfügbarkeit das Austesten und anprobieren zulässt, verhält sich die Architektur weniger spontan. Ein Farbwechsel einer Wand könnte zwar problemlos vorgenommen werden, aber der Aufwand und die Kosten sind doch bedeutend höher als das Rücksendeporto einer falschen Kleiderbestellung.
Es fehlen erlebbare Raumeindrücke von Farbe im Alltag. Waren früher Häuser, ja deren einzelne Räume unterschiedlich ausgemalt oder tapeziert, gibt es heute nur mehr einen verschwindend kleinen Teil an Räumen, die solche Gestaltungen erlebbar machen. Dabei handelt es sich meist um Repräsentationsräume und nicht um Alltagsräume, welche zu Wohn- oder Arbeitszwecken dienen. Auch schwingt der Ballast der Moderne mit ihrem Credo nach Reinheit, Gesundheit und Funktionalität mit: Weiss als strahlender Inbegriff der modernen Architektur. Auch wenn diese Weisswaschung der Moderne eher einer imaginären Bleiche der Architektur dieser Zeit gleicht und in Fachkreisen längst Klarheit herrscht, dass die Gebäude jener Epoche keineswegs grossteils weiss waren (z.B. die sandsteingelbe Villa Savoye von Le Corbusier) hält sich das Bild der weissen Moderne– untermauert von den Schwarzweissfotografien jener Zeit, noch immer. Es drängt sich förmlich der Vergleich mit dem Missverständnis der antiken Architektur & Plastik auf. Selbst über 200 Jahre nach der heftig geführten Diskussion zur Polychromie der Antike (Jakob Ignaz Hittorff 'De l’architecture polychrome chez les grecs' oder Gottfried Semper 'Die Anwendung der Farben in der Architectur und Plastik – dorisch-griechische Kunst') ist diese Tatsache in unserem Kollektivgedächtnis nicht angekommen. Wer weiss schon, dass die griechischen Tempel nicht kalksteinfarben, sondern rot-blau und gelb bemalt waren, oder die berühmte Laokoongruppe sich nicht in perfekt poliertem Marmor sondern in aufgemalten Hauttönen präsentierte?
Farbe 'arbeitet' auf verschiedenen Ebenen: Auf physikalisch-physiologischer (Helligkeit, Klarheit, Wellenlänge), auf psychologischer (aufheiternd, beruhigend), auf räumlicher (Nah- /Fernwirkung), auf emotionaler (kalt/warm) oder auch auf gesellschaftlich konnotierter Ebene (schwarz für Tod, rot für Liebe, etc).
Lassen wir dieses Potential nicht ungenutzt liegen. Ich wünsche mir eine intensivere Auseinandersetzung mit Farbe im Raum und glaube, die Architektur kann davon nur profitieren.